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1984 - 28. FIDENA

 

Burma

 

Als ich 1975 in Rangoon die Marionetten sah, fiel mir ihre einzigartige Konstruktion auf, das gab es nirgendwo sonst auf der Welt. Mein DAAD-Kollege vor Ort hatte auf meine Bitte eine Aufführung arrangiert, und ich sah ihre Bewegungen, ebenfalls einzigartig, sehr artistisch, hochkonzentriert, mit Gesang und Orchester. Einzelne Marionetten, vor allem in England, der ehemaligen Besatzungsmacht Burmas, konnten zwar besichtigt werden, ihre Bewegungen jedoch waren unbekannt. Meine bescheidenen Filmaufnahmen mit der Super-8 Kamera waren hierzu die einzigen Zeugnisse.

Offensichtlich hatte mein DAAD-Kollege 1975 den Kontakt zu einer  für das Marionettentheater Burmas wichtigen Person gefunden. U Ye Dwe war der Besitzer oder Manager einer kompletten Marionettentheater-truppe, deren Aufführungen er zu gelegentlichen Festen anbieten konnte.  Ansonsten führte dieses Theater ein trauriges Dasein, da die neuen Medien Film und Fernsehen alle Aufmerksamkeit auf sich lenkten. Im kollektiven Unterbewusstsein der Burmesen scheint diese Theaterform dabei einen zentralen Platz behalten zu haben. Alle darstellenden Künste Burmas hatten sich aus dem Marionettentheater entwickelt, es war Staatstheater, jeder der vielen Prinzen hatte seine eigene Truppe, dieses Theater war allgegenwärtig, im 18. Jahrhundert gab es einen Minister für Marionettentheater. Ein Buch über Burma bliebe ohne die Darstellung dieses Theaters ein Torso. Ebenfalls weltweit einzigartig.

Noch niemals hatte ein vollständiges Marionettentheater mit Sängern und Orchester das Land verlassen. Kein Amerikaner, kein Franzose, erst recht kein Engländer waren in ihren Bemühungen erfolgreich gewesen. Ich wollte es versuchen. Die Kulturabteilungen des Auswärtigen Amtes und des Bundesinnenministeriums würden finanziell mitmachen. Zwischen mir und U Ye Dwe entspann sich, es wurde in der Tat unmerklich ein Netz gesponnen, ein für abendländische Verhältnisse absurder Briefwechsel. Nichts wurde beim Namen genannt, alles im Konjunktiv und in einer Blumensprache, die jedes Poesiealbum knochentrocken aussehen ließ.

Das hatte ich in Indien gelernt, bei meinem zweimonatigen Aufenthalt Anfang 1970 in Kalkutta, wo ich mir im Vorübergehen mal eben die berüchtigten Slums ansehen wollte, aber wegen der unglaublich lebendigen Musikszene blieb. Arati Mukherjee, die berühmteste Sängerin Indiens mochte mich, und sie nahm mich zu den Aufnahmen mit ins Studio, dort die größten Könner an ihren Instrumenten Tabla, Sitar, Tanpura und indischem Harmonium und Arati mit einer Klarheit in der Stimme, unmenschlich schön. Die Blumensprache begleitete mich in Südindien, zwei Monate in Mahabalipuram, wo der verkrüppelte Junge, Hauptverdiener der Familie, in meinen Armen, von einem Auto überfahren, eine der vielen Fliegen plötzlich ungehindert auf seinem Augapfel, starb, wo die schöne Neela, die mit ihren Geschwistern, Eltern und Großeltern in einer Hütte lebte, für mich einmal tanzte, wo ich neben den Elefanten aus meiner Höhle den Mungos bei ihren Streifzügen zusah.

Mir war klar, dass ich finanziell alles übernehmen musste und nicht zu knapp, denn schließlich hatte ich das Theater, seine Einzigartigkeit, seinen sicheren Erfolg in Deutschland, seine Schönheit, seine, alles, bis dass der grüne Klee erblasste, gelobt. Von der Schönheit war man auch in Burma überzeugt und irgendwann konnte man sich in Burma vorstellen, dass auch die Deutschen von dieser Schönheit etwas mitbekommen durften. Ich legte mein finanzielles Angebot auf den Tisch, Maximalangebot ohne B-Plan, Devisen sind verführerisch, aber es musste wohl auch ein politisch günstiges Umfeld bestanden haben. Niemand begab sich in die Niederungen des Feilschens.

In der Bundesrepublik hatte ich nicht nur für die Aufführungen auf der FIDENA gesorgt, in zehn anderen Städten konnte ich Auffürungen plazieren; die Organisation dieser Tournee, mit Brief, Telegramm und Telefon gelang meinem Mitarbeiter Bruno Kugler fehlerlos, Transport, Unterkunft und, ganz wichtig, Verpflegung. Zum Glück gab es überall chinesische Restaurants, wo wir Reis mit Curry und Fisch oder Huhn bestellten, bis zum Abwinken. Ein aus der Verzweiflung der drei begleitenden europäischen Mägen, Busfahrer, Bruno und ich resultierender Besuch bei McDonalds mit der gesamten Truppe bei Cola, Fritten und Burger entpuppte sich zunächst als sensationeller Erfolg, wurde jedoch wegen der Kapriolen einiger Dünndärme unserer burmesischen Freunde nicht wiederholt.

Für den Flug von Rangoon in die Bundesrepublik hatte ich mir von Bochum aus, Internet gab es noch lange nicht, die billigste Variante ausgesucht, Aeroflot, direkt von Rangoon über Moskau nach Frankfurt. Das Auswärtige Amt intervenierte, keine deutschen Steuergelder für kommunistische Staatsfirmen, Lufthansa bitte. Die flog zwar von Bangkok nach Frankfurt, war jedoch exorbitant teuer, nicht zu bezahlen, ob auch eine andere nicht-kommunistische Fluglinie möglich wäre? In den Zeiten der freien Marktwirtschaft war das natürlich klar. Air Siam, später Thai Airways, flog diese Strecke ebenfalls, blieb die Strecke Rangoon-Bangkok, die flogen die Burmesen selbst.

Nun waren die Chinesen gefragt, wo die Preußen Asiens, die Japaner, schlapp machen, laufen die Chinesen, die Südchinesen, zu ihrer Höchstform auf. Von Rangoon über Bangkok nach Frankfurt und zurück, billigste Variante, Gruppenreise. Mit ca. 40.000 DM in der Tasche flog ich nach Hong Kong, d.h. nicht direkt, ich hatte das Geld in Bochum in American Express Schecks zu je 100.- US-Dollar eingetauscht, so ca. 400 Unterschriften, das war sicherer. In Hong Kong dann der Umtausch in Hong Kong Dollar, wieder diese vielen Unterschriften. Mit dieser Summe, locker und lose in der herunterbaumelnden Plastiktüte, das ist in Hong Kong so üblich, alte Frauen in schäbigen Kleidern tragen so ihre Millionen von einer Bank zur anderen, zum Reisebüro, alles bestens, kein Druckfehler bei den Namen der Mitreisenden, ganz wichtig, auf den Flugkarten, und alle glücklich.

Mit diesen Karten flog ich von Hong Kong über Bangkok nach Rangoon, allerdings mit einer unübersehbaren Belastung. Wenn man, wie ich, mit einer Südchinesin verheiratet ist, dann erfährt man nicht nur die unglaublich massive Differenz der Kulturen, die sich ein Buchsinologe nicht vorstellen kann, er müßte in China ausgiebig gereist sein und in einer chinesischen Familie gelebt haben, man erfährt auch den Temperamentunterschied zwischen einem Norddeutschen und einer Sizilianerin, da geht die Post ab, ich jedenfalls hatte einen frisch zerkratzten linken Unterarm.

30 Grad Celsius bei 99% Luftfeuchtigkeit kannte ich aus Hong Kong, dagegen kann man nicht ankämpfen, sich nicht wehren, es bleibt nur die Unterwerfung, die Anerkennung der Realität und ein möglichst freundschaftliches Verhältnis zu ihr, ganz gelockert, die Alternative wäre der Wahnsinn, lose und luftige Baumwollhemden, kurzärmelig und keine langen Hosen, jeder Windzug eine Erleichterung, Kühlung. In Rangoon war alles anders. Bei der Ankunft sah ich mal wieder keine Stadt, grün überall, die Bäume höher als die bestenfalls drei- bis vierstöckigen Häuser, 39 Grad Celsius bei 99% Luftfeuchtigkeit. Das war kein Vergnügen, denn kein Windzug über der eigenen Körpertemperatur, ca, 37 Grad Celsius, bringt Kühlung, da kann man sich den Mund fusselig reden, um das zu beschreiben, das muss man erlebt haben.

Bereits beim Ausstieg aus dem Flugzeug wurde ich in Empfang genommen, durch die Einwanderungsbehörde, am Zoll vorbei, wenn ich das vorher gewusst hätte, in ein schwarzes Auto mit Fahrer. Mein Begleiter, etwa mein Alter, hatte sicherlich viele Qualitäten, vor allem aber sprach er passables Englisch, er brachte mich ins Hotel, und ich wollte mal richtig schlafen. Das Hotelzimmer ein Areal von sicher 200 Quadratmetern mit einer offenen Veranda zu einem See, ein riesiges Badezimmer mit Wanne, mehrere Nebenräume, alles ausgestattet mit schönsten Holzschnitzereien von bester handwerklichen Qualität, eine Riesenschale mit Früchten, ein Bett, eine Großfamilie hätte darin Platz gehabt, auf einem Podest, mit Baldachin und Moskitonetz. Ich mus sofort eingeschlafen sein, als ich aufwachte, war der Morgen vorbei.

Kurzes Früchtefrühstück, in der Lobby wartete ein Attache der Deutschen Botschaft, etwa zehn Jahre jünger, fragte mich, in welchen Räumen ich geschlafen hätte, in der Prinzensuite also, er lächelte, ich übergab die Flugkarten, und die Botschaft stellte alle Visa umgehend aus. Ein Empfang war angesagt, für den nächsten Nachmittag, bei den Burmesen.  Meinen zerkratzten Unterarm konnte ich unmöglich präsentieren, als einziges Kleidungsstück mit langen Ärmeln hatte ich einen leichten Pullover. In Hong Kong bewegen sich Bankangestellte und Kaufleute in dunklen Anzügen, mit weißem Hemd und Krawatte, stets in gut gekühlten Büros, Restaurants und Limosinen, regelrecht kalt war es in kommunistischen Kaufhäusern, die rotchinesischen Kältemaschinen hatten besser zu sein als die aus Japan. In Burma gab es das nicht, außer sicherlich in den westlichen Botschaften, überall so um die 40 Grad mit großen rotierenden Propellern, die unter der Decke hingen und doch keine Kühlung brachten.

Ich übte mich in asiatischer Gelassenheit, dachte nicht an den an der Pulloverwolle kratzenden Unterarm, lächelte und sah verrückt aus. Ein Minister mit Gefolge begrüßte mich mit Namen als wären wir alte Bekannte, von der Botschaft war der Attache dabei, immerhin, die Bundesrepublik Deutschland war offiziell vertreten, wenn auch auf Sparflamme, hatte damit aber für die gesamte Unternehmung eine Mitverantwortung übernommen und in der Tat, ich erhielt die Telefonnummer eines Mitarbeiters im Auswärtigen Amt; ich benutzte sie vorbeugend zweimal vor den Durchgängen durch den deutschen Zoll. Die gesamte Truppe war versammelt, in Nationaltracht und wurde bei dieser Gelegenheit offensichtlich, ohne dass ich es bemerkte, auf mich eingeschworen, ich war der Oberboss, durfte nichts mehr anfassen, alles wurde mir sofort aus der Hand genommen, die zwei politischen Begleiter hatte sicherlich auch was zu sagen.  Viele Jahre später erfuhr ich, dass mein heroisches Pullover-Zwischenspiel, es galt auch nur für diese zwei Stunden, bei meinen burmesischen Partnern mit kräftigem Wohlwollen bedacht wurde, da bedeckte Unterarme eine Höflichkeitsgeste war, von Westlern wohl selten beachtet, nicht nur der Temperaturen wegen, auch wegen kultureller Unkenntnis und Überlegenheitsdünkel, der Attache jedenfalls war kurzärmelig.

Zwei Tage später die Abreise, auf dem Flugfeld eine kleinere Maschine russischer Bauart, an ihrer Seite viele Menschen und viele Holzkisten, flach und unglaublich breit, keine passte ins Flugzeug, was bei mir keine Unruhe auslöste, denn die Burmesen sind die begabtesten Techniker der Welt, aus zwei Autos machen sie drei, nicht umgekehrt, das könnten die Deutschen auch, und auf den Straßen sah ich Autos von vor dem Zweiten Weltkrieg. Teakholz. Mir wurde leicht schwindelig. Wurde die Frachtgebühr nun nach Gewicht oder Volumen berechnet? Was kam da auf mich zu. Teakholz ist nicht nur hart, es ist auch fast so schwer wie Eisen. Wer hat sich das ausgedacht!? Man nimmt Aluminium! Dreiviertel einer Kiste war Eigengewicht, und die passten auf keine Palette, Burma hatte von der Außenwelt noch nichts mitbekommen. Und einundzwanzig Menschen, darunter die größten Könner ihres Landes, zum erstenmal außerhalb, hoffentlich bleiben sie gesund, und alle wollten von dem in Deutschland verdienten Geld ein Motorrad kaufen.

Das Flugzeug zog eine Schleife über die größte Pagode der Welt, mehrere Tonnen Gold glänzten, alle Insassen, ich war als einziger ausgenommen, legten die Hände vor der Stirn zusammen und verneigten sich in Richtung der Schwedagon. Ich fühlte mich als Papi mit vielen gehorsamen Kindern, und in der Tat, die Gruppe war sehr diszipliniert und erwies sich als pflegeleicht. Die Kisten kamen in Frankfurt mit einem Tag Verspätung an und wurden vom Zoll durchgewunken.

Die ersten drei Tage war wegen der Akklimatisierung Ruhe angesagt, dann die Premiere in Bochum, Weltpremiere, Weltsensation, und alle waren sie da, Kulturmanager aus vielen Ländern, Fernsehen, Fotografen. Die burmesische Regierung hatte, wie sich jetzt herausstellte, einiges getan, alle Instrumente waren neu vergoldet, alle Marionetten neu eingekleidet, alle Akteure in frischer Nationaltracht, Prospekte neu gemalt, Dschungel- oder Palastszenen, keine Bonbonfarben, gedeckte Farbgebungen von Gold über Braun bis Grün, ein Augen- und Ohrenschmaus. Das Orchester spielte rechts und links vor der Bühne, Sängerin und Sänger ebenfalls vorn, dahinter die breite Flachbühne. Niemand verstand die Texte, der Inhalt war in Kurzform im Programmheft ausgedruckt. Aus dem Orchester ragte ein in Europa bisher nicht gesehenes Instrument heraus, eine Art Laufgitter, alles Gold, kreisrund, in der Mitte auf einem Schemel der Musiker, um ihn herum, 360 Grad nichts als Trommeln in allen Größen, genial. Ich ließ einen Filmmitschnitt anfertigen, eine Kopie ging an das Stadtmuseum München.

Die weiteren Aufführungen in Bochum und in zehn weiteren Städten waren ein Begeisterungslauf. Figurentheater aus Burma, wo war das, exotisch und abgelegen, aber dann eine Explosion der Sinne, die Landkarten wurden gelesen, eine Erweiterung von Bewusstsein für Figurentheater fand statt. Beim Abschied auf dem Flughafen Frankfurt hatte ich Tränen in den Augen, war dies das letzte Aufbäumen einer zwar grandiosen, aber fast ausgestorbenen Kunstform? Wäre ein Überleben möglich? Mir ist nicht bekannt geworden, dass ein komplettes Marionettentheater mit Sänger und Orchester Burma je wieder verlassen hätte. Dreieinhalb Jahre später Staatsempfang auf Schloss Brühl für den Staatschef Burmas, ein Protokollbeamter nahm sich meiner an, und ich durfte die Hände zweier Staatschefs und ihrer Gemahlinnen sanft drücken.

 

DAS PROGRAMMHEFT

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

DEUTSCHES INSTITUT FÜR PUPPENSPIEL