Was Bleibt - Kommt?
Zunächst bleiben alle materiellen Zeugnisse
die Publikationen (s. Verlag)
die Sammlung Klünder mit Archiv und Bibliothek
das Figurentheater-Kolleg, es feierte 2007 sein 30-jähriges Bestehen
die FIDENA, sie feierte 2008 ihr 50-jähriges Bestehen.
Wer sagt und wo steht geschrieben, dass Figurentheater in Deutschland klein sein und bleiben muss? Da sind alle Beteiligten - die Ausbilder und die Ausgebildeten - in ihrem wohlschmeckenden Fond (Soße) gefangen. Großartige künstlerische Qualität: bewundernswert. Perfekte Handhabung der technischen Mittel: atemberaubend. Mut für den Aufbruch zu Entdeckungsreisen: schweißtreibend. Alles großartig, nein: kleinartig. Einzelspieler und Miniensembles. Wer sieht seine graue, zipfelige Schlafmütze auf seinem Kopf? Zwergenhaft.
...zeigen muss man seine Gaben/denn machst Du Dich selber klein/will man Dich noch kleiner haben.
Figurentheater als Kleinkunst? Das ist so einfach zu diffamieren. Wem spielt das in die Taschen? Dem sehr robusten Netzwerk der Schauspielertheater. Dieses Netzwerk wacht über die Geldtöpfe mit einer Raffinesse, die jeden Fantasy-Roman alt aussehen lässt. - Das klingt nicht aufmunternd.
Das zweitwichtigste Figurentheaterfestival in Deutschland, die FIDENA in Bochum, wird seit zehn Jahren von einer Opern- und (Schauspieler-)Theaterregisseurin geleitet. Sie ist sicherlich eine sehr gute Festivalleiterin, aber erschöpft sich die Arbeit mit der FIDENA darin? Wem ist da eingefallen, den Bock zum Gärtner zu machen?
Dr. Klünder schrieb folgende zwei ersten Sätze ins Programmheft seines ersten Festivals im Mai 1977:
Ein herzliches Willkommen allen Freunden und Aktiven des Figurentheaters, allen jenen besonders, die zum ersten Mal in seinen Bann geraten.
Das Figurentheater als selbständige Theaterform, das sich dem Vergleich zum Schauspieler-Theater stellt, wird in dieser internationalen Festwoche FIGURENTHEATER DER NATIONEN vorgeführt.
Dieser Anspruch war zu jener Zeit eine großartige Monstrosität.
1991 war dieser Anspruch in die Realität überführt worden. Immerhin so nachhaltig, dass zur 50. FIDENA 2008 in der Presse daran erinnert wurde.
Nach 1991 hätte die Phase der Konsolidierung beginnen sollen. Genau in dieser Phase wurde das Institut bekanntlich zerstört. Was kam dann? Bis auf den heutigen Tag in Deutschland? Der Rückzug in die goldene Kleinheit.
In den Jahren 1977 bis 1991 wurde auf der FIDENA durch eigene und eingeladene Inszenierungen nachgewiesen, dass Figurentheater im Format des Stadttheaters dem Schauspielertheater in künstlerischer Qualität ebenbürtig und in der Wirkung auf die Zuschauer überzeugender sein kann. Ist noch niemandem aufgefallen, dass ein Tod, ein Sterben, ein Mord auf der Bühne des Schauspielertheaters eine ausgesprochen peinliche Veranstaltung ist? Das Figurentheater kann nichts anderes künstlerisch überzeugender darstellen.
Auf der FIDENA des Instituts wurde nachgewiesen, dass die gesamte Literatur des absurden Theaters originäres Figurentheater ist. Kein Wunder, denn Theater ist seit seinen Anfängen immer Figurentheater gewesen, das Theater der Griechen und Römer war Maskentheater, und das ist nichts anderes als Figurentheater. Wenn Theaterwissenschaftler das alte Theater als Schauspielertheater deklarieren, dann bleiben sie am grünen Tisch kleben und irren. Erst mit der Renaissance schlich sich der Mensch in die Bühnenmitte und feierte mit Shakespeare seine Höhepunkte. Aber - inszenieren Sie mal einen Shakespeare mit den Mitteln des Figurentheaters auf der Bühne eines Stadttheaters! Und lassen Sie sich nicht von der Hilflosigkeit der Theaterkritiker irritieren! Die Zuschauer werden in Ihr Theater rennen!
Wo sind die ausgebildeten Figurenspieler? Von ihnen müsste es in Deutschland einige Hundert geben! Finden Sie sich zusammen mit den Kollegen aus den Akademien für Musik und Bildende Kunst! Es wird doch wohl nicht jeder das große Geld verdienen wollen?
Wo sind die jungen Leute mit Mut? Gehen Sie systematisch vor: Wo gibt es ein leerstehendes Stadttheater? In einer Kommune, in der es kein Schauspielertheater gibt (sehr wichtig!), möglicherweise auch kein Orchester. Wen könnte man als Subventionsgeber gewinnen? Welche Industrie verdient gutes Geld? Chemie, Pharmazie, Maschinenbau, IT-Firma... Machen Sie ein inhaltliches Konzept, das sich gewaschen hat; und wenn Sie hier unsicher sind, dann gehen zuvor ein halbes Jahr nach Polen, zum Beispiel nach Wroclaw, gehen Sie dem Genie Hejno auf den Wecker, Ihnen gehen die Augen auf!
Machen Sie ein finanzielles Konzept, ohne die Personalkosten (das Geld für den Lebensunterhalt holen Sie sich mit der gehörigen Pfiffigkeit vom Staat, und stellen Sie sich für die nächsten fünf Jahre auf ein materiell bescheidenes Leben ein, beuten Sie sich selbst aus, das müssten Sie auch, wenn Sie sich für eine Solokarriere entschieden). Machen Sie sich Gedanken über die juristische Konstruktion: e.V., GmbH...
Dann nehmen Sie Kontakt auf mit den Avtivity-Beauftragten des (oder der) lokalen Lionsclubs und/oder Rotaryclubs. Dann warten Sie ruhig drei, vier Wochen, die Herren (manchmal auch Damen) brauchen etwas Zeit. In der Zwischenzeit könnten Sie Kontakt aufnehmen mit einem der zwei Direktoren der örtlichen Sparkasse, einer von ihnen interessiert sich für Kultur und ist garantiert Mitglied im Lions- oder Rotaryclub. Gehen Sie zu Ihrem potentiellen Subventionsgeber, zum Chef, der in der anvisierten Kommune eine nicht unwichtige Stimme hat, und der schon weiss, dass Sie auf dem Weg zu ihm sind. Und dann gehen Sie zur politischen Spitze, damit Sie ins Theaterhaus kommen.
Das Theater der Zukunft ist das Figurentheater
Und ein Briefwechsel ..
Deutsches Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst
Frau Dabs
Verehrte Frau Dabs,
die Ehrenkarte zur 50. FIDENA hatte ich leider verlegt.
Und falls Ihr Buch mal neu aufgelegt werden sollte, sagen Sie Frau Schmidt bitte: Germanistik fand ich nicht so interessant, ich promovierte in Theaterwissenschaft. Und bei meinem Beginn im Deutschen Institut für Puppenspiel 1976 wusste ich von Figurentheater so viel, wie Sie bis heute nicht. - Wo haben Sie ein 'Fritz-Wortelmann-Archiv'? Vorspiegelung falscher Tatsachen. Die Stadt Bochum ist Eigentümerin einer 'Wortelmann-Sammlung'. Ein 'Wortelmann-Archiv' hat es nie gegeben. Und das Archiv des Deutschen Instituts für Puppenspiel - das größte Archiv des nationalen und internationalen Figurentheaters bis 1991 und darüberhinaus, mit ca. 1.700 prall gefüllten Mappen - ist Bestandteil der 'Sammlung-Klünder', und deren Eigentümer bin ich.
Die 50. FIDENA die größte? Nur Nichtwissen? Wenn Sie vergleichen, vergleichen wir die Fakten: Zur 50. FIDENA gab es 16 Bühnen mit 18 Inszenierungen, fast alles Kleinstensembles. Meine 14 FIDENAS hatten im Durchschnitt 21 Bühnen mit 25 Inszenierungen, darunter viele Großensembles, aus insgesamt 32 Ländern. Ein fundamental anderer Zuschnitt.
Und FIDENA. Fragen Sie Peter Ketturkat. 1978 erfand ich diese Ikone und benutzte sie erstmals für das Festival 1979. Interessant, dass Sie mein Kindchen so selbstverständlich und ungefragt benutzen. FIDENA ist Klünder.
Meine Räume gefallen Ihnen? Habe ich nach vielen Jahren schwer von der Stadt erkämpft. Sie arbeiten in der anspruchsvollen Luft des Deutschen Instituts für Puppenspiel. Im Erdgeschoss hatten wir Verwaltung, Bibliothek und Archiv - ich wette, Sie sitzen in meinem Zimmer - im ersten Stock hatten wir unser sehr gut besuchtes Museum. Haben Sie ein Museum? Oder sonst irgendwo in NW? Was machen Sie? Tun Sie mehr!
Und besuchen Sie mich: www.deutsches-institut-für-puppenspiel.de
Schönste Grüße (das ist ein Zitat von meinem Freund Walter Büttner),
Dr. Jürgen Klünder (20.9.2008)
ps Die Altersradikalität erlaubt keine Nettigkeiten und Kompromisse, da das Zeitfenster kleiner wird. Wenn Sie das einmal erfahren werden, werden Sie meinen ruppigen Ton verzeihen.
Sehr geehrter Herr Dr. Klünder,
etwas ratlos lese ich Ihren Brief und Ihre mail. Auch Ihre ausführliche Schilderung der "Abwicklung" des Instituts auf Ihrer Website habe ich gelesen. Es ist mir klar, dass es Sie verletzt hat, keine Einladung zum Jubiläum erhalten zu haben. Dass wir bislang nicht einmal wussten, wo Sie wohnen, entspricht zwar der Wahrheit, ist aber nur einer der Gründe für die nicht erfolgte Einladung. Nach allem, was ich gehört habe, fürchtete ich, dass Sie die offizielle Feierstunde für einen Eklat nutzen. Und darauf hatte ich absolut keine Lust. Das wäre auch für die Arbeit, die ich mit meinem Team in den letzten 10 Jahren geleistet habe unfair gewesen. Deshalb habe ich - und nur ich - entschieden, Ihnen keine Einladung zu senden.
Ich bin sicher, dass Sie beim Wort unfair bitter auflachen. Vermutlich sind viele Dinge Ihnen gegenüber tatsächlich unfair verlaufen. Ich habe nichts dagegen, dass Sie auf Dinge hinweisen, die falsch recherchiert sind, oder darauf, dass ich in meiner Begeisterung für das Festival vielleicht manchmal zu unwissenschftlich bin. Es steht außer Frage, dass Sie über das Puppen- und Figurentheater viel mehr wissen als ich. Ich habe nie behauptet in dem Thema eine Fachfrau zu sein. Ich bin Opern- und Schauspielregisseurin und eine verdammt gute Festivalleiterin und Geschäftsführerin. Das ist doch gar nicht so übel. Ja, ich sitze hier in einem schönen Zimmer, ob Sie auch in diesem Zimmer saßen weiß ich nicht, aber ich bin durchaus sehr dankbar für meine Arbeit, und glauben Sie mir, ich weiß aus Erfahrung, dass ein so wunderbarer Job wie dieser keine Selbstverständlichkeit ist. Und ich habe in all den Jahren nie aufgehört, mehr erreichen zu wollen für das "Forum", für das Festival und für das Figurentheater, dazu bedarf es keiner Aufforderung.
Ruppiger Ton hin oder her, damit kann ich schon umgehen, aber tun Sie sich den Gefallen und suchen Sie innerlich nach Ihren weißen Fahnen. Eine Entschuldigung von den damals Beteiligten werden Sie nicht erwarten, oder? Und frank und frei: ich persönlich bin an der Aufarbeitung dieser Geschichte, die ich von allen Seiten anders dargestellt bekommen habe, zu wenig interessiert, als dass ich da einen Recherche-Auftrag vergeben möchte. Sie schreiben von einem kurzen Zeitfenster und vom Alter, aber gerade wenn Sie das so empfinden, dann schließen Sie doch endlich Frieden mit dem ganzen Kram. Das ist doch immer nur weiter eine Quelle für Schmerz und Verbitterung, ich stell mir das furchtbar vor. Ich wünsche Ihnen ehrlich alles Gute.
Mit freundlichen Grüßen
Annette Dabs
Verehrte Frau Dabs,
die Tatsache, dass Sie mir geantwortet haben, hat mich überrascht.
Das mit dem Zeitfenster war ein Spass, weil ich mir gern vorstellen wollte, wie Sie sich ein möglichst falsches Bild von mir machen werden: verschroben, tatterich, Rauschebart und Gehstock. Mein Zeitfenster steht sperrangelweit offen, mit allen meinen Tätigkeiten bin ich in die Zukunft ausgerichtet. Obwohl, und diese Einschränkung teile ich mit Ihnen, wir nicht wissen können, was am morgigen Tag passieren wird. Und mir geht es gesundheitlich blendend.
Leider habe ich diese 'Sammlung-Klünder' am Hals, und die sorgt nun nach mehr als 15 Jahren Abstand dafür, dass sich bei mir ein kleines Pflichtbewusstseinlein eingeschlichen hat und mir einen ungeliebten Blick in die Vergangenheit beschert. Der Verdrängungsmechanismus hat nicht mehr funktioniert. Nun schaue ich also in stressfreien Zeiten ab und zu in die Vergangenheit und entdecke, dass sich beim Schreiben auch der Spass einstellt, zumal ich kein Blatt vor den Mund nehmen muss.
Das mit dem Eklat hat mich fast vom Hocker geschmissen. So viel der Ehre. Ich glaub, ich war stolz, als ich das gelesen hatte. Wenn ich solch ein mir wesensfremdes Verhalten hätte zeigen wollen, wäre ich gekommen und hätte es getan. Die Sie umgebenden Menschen, die Ihnen solche Informationen gegeben haben, müssen seltsame Menschen sein.
Ein ernstes Wort: Das mit den - persönlichen - Verletzungen. Halten Sie mich für einen Freak? Meine liebe Dame, Sie werden wohl nicht annehmen können, dass ich einen solch unabhängigen Geist wie Herrn Streletz bestochen habe: Im Vorfeld zur 50. FIDENA machte er zweimal auf meine Arbeit aufmerksam und zutreffend wies er darauf hin, dass es mir gelungen war, das Figurentheater dem Schauspielertheater künstlerisch gleichzustellen. Das war genau der Punkt. Und in dieser Phase wurde das Institut zur Hauptsache durch die Inkompetenz einer heillos überforderten Kulturdezernentin Canaris geschlossen. Das macht mich böse. Noch heute. Und es würde mich noch böser machen, wenn ich mir die Entwicklung des heutigen Figurentheaters genauer ansehen würde. Bei aller künstlerischen Seriosität der vielen Mini-Ensembles, dieser Punkt ist in Deutschland nicht wieder erreicht worden. Ob Sie ihn jemals erreichen werden? Ich war weiter als Sie jetzt. Und Sie müssten wissen, wovon ich rede.
Allerschönste Grüsse (auch ein Zitat von Walter Büttner)
Dr. Jürgen Klünder (24.9.2008)
Und ein Nachtrag
Werner Streletz schrieb in der Bochumer Ausgabe der WAZ (Westdeutsche Allgemeine Zeitung) am 28.8.2008 im Vorgang zur 50. FIDENA:
...dem Trend der Zeit entsprechend suchte Klünder nach Alternativen zu etablierten Theaterformen. Neben dem berühmten "Bread and Puppet Theatre" gastierte erstmals Neville Tranter in Bochum, der dem Festival bis heute verbunden ist. Im Jubiläumsprogramm zeigt Tranter, dessen Hitler-Parodie "Schicklgruber" vor einigen Jahren für groteskes Unbehagen sorgte, die Uraufführung "Cuniculus-Eine Menschwerdung".
Jürgen Klünder verstand Puppenspiel als Teil der "Volkskunst". Eine ganze FIDENA galt damals der Figur des Kasperle mit seiner anarchischen Herkunft. 1989 verkündete Klünder das "Ende der Bescheidenheit" und holte große Inszenierungen etablierter Ensemble-Puppentheater auch aus Osteuropa und Asien. Bis dahin hatte meist der "Wanderzirkus" der teilnehmenden Puppenspieler in den Zuschauerreihen gesessen, mit großen Puppen und großen Themen von Klassik bis Kafka kam auch das große Publikum. In Bochum hatte sich das Figurentheater als gleichberechtigt neben dem Schauspielhaus etabliert, war nicht mehr die kleine Schwester vom Hinterhof.