Finanzierung und Buchführung, ein Thema der absurden Sonderklasse.
Die benötigten Gelder von Bund, Land und Stadt wurden stets so beantragt, wie sie vorab ausgehandelt worden waren, was nicht besonders schwierig war, da die schon bestehenden Haushaltstitel aus dem jeweiligen Vorjahr fortgeschrieben und zumindest aufgrund der tarifgebundenen Personalkosten (die hatten wir, da alle - auch der Direktor - Gewerkschaftsmitglieder waren, durch Vorstandsbeschluss dem Öffentlichen Dienst angeglichen) erhöht werden mussten, was leider nicht immer gelang. Besonders die Stadt ließ uns des öfteren schmerzhaft erfahren, dass alle Zuschüsse für kulturelle Aktivitäten freiwillige Leistungen der Öffentlichen Hand waren, über die jährlich immer wieder neu durch Beschluss des Stadtrates zu entscheiden war. Das Einwerben privater Gelder, was zu jener Zeit in Deutschland vollkomen unüblich war - abgesehen davon, dass ich als Institutsdirektor dafür nicht die geringste Zeit gehabt hätte und schlecht eine meiner Sekretärinnen oder meinen studentischen Mitarbeiter damit hätte beauftragen können - wäre eine riskante Übung gewesen, da reflexartig zumindest die Stadt ihren Zuschuss um die eingeworbene Summe gekürzt hätte - und zwar für immer - es sei denn, diese Gelder aus privater Hand wären eindeutig für ein einmaliges Projekt bestimmt gewesen.
Erst etwa zehn Jahre später gelang mir die Einwerbung privater Gelder für separate, dann aber jährlich fortlaufende Projekte. Einen vierten Geldgeber der Öffentlichen Hand, den Landschaftsverband Westfalen-Lippe, der dann auch Vereinsmitglied wurde, konnte ich ab 1981 gewinnen, er war von der CDU geführt, was mir die SPD-Stadt Bochum und das Land übel nahmen und den famosen Stadtkulturdezernenten zu der Frage veranlasste, wie ich denn wähle, wofür er sich meine Antwort 'ganz demokratisch' abholte. Das Land, das waren zwei Behörden, der Kultusminister des Landes NW in Düsseldorf und als Mittelbehörde der Regierungspräsident Arnsberg in selbiger abgelegener Kleinstadt irgendwo südöstlich des Ruhrgebietes. Bei ersterer wurde vor allem die Höhe der Zuschüsse verhandelt und immer wieder auf die in der Vereinssatzung niedergelegten Grundsätze hingewiesen: Ausbildung, künstlerische Qualität, Werbung mit allen fachbezogenen Mitteln in allen Medien. Beim Regierungspräsidenten wurden die Landesmittel beantragt, er bewilligte die Landeszuschüsse, nachdem unser Institutshaushalt des vergangenen Jahres ohne Beanstandungen von ihm geprüft worden war. Diesen Prüfbericht benötigten auch die anderen Geldgeber der Öffentlichen Hand für die Bewilligung ihrer Zuschüsse. Wir waren somit bemüht, unsere Haushaltsabrechnung früh im neuen Jahr einzureichen, um wenigstens für ein frühes Prüfergebnis keine Verzögerungen bei der Auszahlung der Zuschüsse eintreten zu lassen.
Unser externer Steuerberater war für die monatlichen Abrechnungen der Personalkosten (Lohn, steuerliche und soziale Abgaben usw.) zuständig, wir zählten die anderen Zahlen zusammen, wobei am Ende die Summe auf der Ausgabenseite mit der Summe auf der Einnahmenseite übereinstimmen musste, fast jedenfalls. Das war einfachste Mathematik, die ich gerade noch bewältigen konnte, interessant wurde es stets bei der inhaltlichen Begründung mancher Ausgaben. Wenn der Prüfbericht des Regierungspräsidenten Arnsberg ohne Beanstandungen vorlag und an die anderen Geldgeber der Öffentlichen Hand per Briefpost verschickt worden war, hieß das noch lange nicht, dass wir auch umgehend die Bewilligungsbescheide (und damit die Zahlungsanweisungen, nicht selten zunächst lediglich für Teilbeträge) - per Briefpost - erhielten. Das Bundesparlament (in der damaligen Hauptstadt Bonn) verabschiedet seinen seit dem 1. Januar laufenden Haushalt im April oder Mai, oder auch später, danach erst kann das Landesparlament NW in Düsseldorf seinen Haushalt beschließen, und dann erst kann der Rat der Stadt Bochum folgen. Nachdem die Mehrheit ihre Hände gehoben hat, darf der Kulturdezernent die Bewilligungsbescheide unterzeichnen, gnädigerweise möglichst zügig oder auch nicht, und sie der Briefpost anvertrauen. In ihnen steht in aufreizender Regelmässigkeit, dieser Bewilligungsbescheid ist nur gültig, wenn vor Bewilligung keine Gelder ausgegeben worden sind und: Zinsen sind nicht zuschussfähig. Wenn man solch einen Unsinn zum erstenmal dokumentarisch schwarz auf weiß vor sich auf dem Bürotisch liegen hat, kann man nur noch Amok laufen.
Denn natürlich haben wir seit Januar Gelder ausgegeben, zumindest notwendigerweise für die Personalkosten, Telefon und Briefmarken, und auf unserem Konto bei der Sparkasse hat sich ein erkleckliches Soll angesammelt, für welches die ortsüblichen Zinsen zu zahlen waren. Da war es doch zumindest teilweise beruhigend, dass Wortelmann den Sparkassendirektor als Schatzmeister unseres Instituts hatte gewinnen können und dieser uns einen Überziehungskredit in variabler Höhe einräumte. Später erfuhr ich, dass die Öffentliche Hand bei notwendig vor Bewilligung erfolgten Ausgaben - allerdings auch nur für diese - eine Ausnahmegenehmigung vorsehen konnte. Wieso wir jedoch einige Jahre lang ausgeglichene Haushaltsabschlüsse vorlegen konnten und Prüfberichte ohne Beanstandungen erhielten, obwohl wir die Zinsen immer bezahlen mussten, ist mir ein Rätsel geblieben
Zweimal erlebte ich im Kulturausschuss der Stadt Bochum hierzu eine Anfrage eines Ratsmitgliedes von der FDP, da ich aber einfach zu blöd für eine Antwort war, sprangen Ratsmitglieder von der SPD und von der CDU ein und bügelten die Fragen ab. Erst mit Eintritt des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe in die Riege unserer öffentlichen Geldgeber, wurde ich zumindest von diesen Beklemmungen befreit, um mir sofort neue einzuhandeln. Kulturdezernent Sudbrock erklärte, wir können seinen Zuschuss auch für die Begleichung der Zinsen einsetzen, um mich dann spitzbübisch zu fragen, ob wir kaufmännische oder kameralistische Buchführung oder beide betrieben. Beides war mir unbekannt, ich schwieg, machten wir nicht normale Buchführung? Das heisst, normal war überhaupt nichts, was ich wie mit der Faust aufs Spitzkinn erlebte, als ich meinen ersten Bewilligungsbescheid Ende Mai 1977 in den Händen hielt, nachdem wir unser internationales Festival für Profibühnen und den Wettbewerb für die Amateurbühnen abgeschlossen und selbstverständlich alle Honorare, Reise- und Aufenthaltskosten bezahlt hatten. Nicht nur, dass ich das gar nicht hätte tun dürfen, denn bei diesen Ausgaben fehlte die dringende Notwendigkeit - Festival und Wettbewerb hätten ja auch im Juli stattfinden können - es fehlten in den Bewilligungssummen unter dem Strich etwa 10.000 DM. Auf Anfrage erhielt ich die Antwort, ich benötige die volle beantragte Summe nicht, da ich im Vorjahr diesen Betrag eingespart und zurückgezahlt hätte.
Was war geschehen? Um den Institutshaushalt 1976 zu entlasten und um eine Doppelbezahlung durch die Öffentliche Hand zu vermeiden, hatte ich für die Monate Juli bis einschließlich Oktober die vorgesehene Fortzahlung meiner Honorare durch den DAAD in Anspruch genommen, um dann mit Stolz in der Brust mit einem Überschuss von etwa diesen 10.000 DM den Jahreshaushalt abzuzschließen, niemand hatte mich gewarnt, hätte ich wenigstens den chinesischen Handpuppenspielern ein höheres Honorar gegeben. Das war eine Lehrstunde der höheren Mathematik, jeder Haushalt beginnt am 1. Januar bei Null und endet am 31. Dezember niemals mit einem Überschuss - es durften keine Gelder für zukünftige Projekte angespart werden, es durften über das Jahresende hinaus keine Zahlungsverpflichtungen eingegangen werden - sondern stets mit einem kleinen Soll von gut 1.000 DM, welche sich auf unserem Konto mit den Jahren summierten, um die ich mich laut Auskunft unseres Schatzmeisters jedoch nicht kümmern musste (was ich nicht anders als einen versteckten Zuschusss von irgendwoher begreifen konnte, lieber nicht fragen). Das ist kameralistische Buchführung.
Später stellte sich heraus, dass wir außerdem die kaufmännische Buchführung ausüben mussten, was niemand im Land NW im wahrsten Sinne begreifen konnte, was das Institut hart an den Rand des Untergangs brachte, der nur dadurch verhindert wurde, weil ich nicht fixiert war, denn von beiden Buchführungsarten hatte ich keine Ahnung. (Alle Buchhalter im Land NW - mit Ausnahme einiger Spezialisten im Finanzministerium - waren als Mitarbeiter der Öffentlichen Hand ausgebildete Kameralistiker und hatten nicht den Schimmer einer Ahnung von kaufmännischer Buchhaltung, und alle Buchhalter der Privatwirtschaft kannten zwar alle Tricks ihrer kaufmännischen Buchhaltung, kannten die kameralistische Buchhaltung aber bestenfalls aus der Märchen- und Sagenwelt). Und ich war ausgestattet mit einer gewissen in Asien eingeübten Kampftechnik, mit der ich nicht selten erfolgreich war.
Es blieb das Problem der vor dem Eintreffen des Bewilligungsbescheides ausgegebenen, aber im Sinne der Haushaltsgesetze nicht dringend notwendigen Gelder, was mich ständig in einer Illegalität sah - die mich subtil erpressbar machte - der ich zu entgehen suchte, indem ich alle Aktivitäten wie Publikationen, Einladungen und Gastspielreisen, Festivals, meine eigenen Reisen, Ausstellungen in die zweite Jahreshälfte verlegte. Ich war wohl nicht der einzige Kulturmanager, der so verfahren musste. Dennoch verblieb ein kräftiger Strauß an imgrunde illegalen Aktivitäten, wenn allein an die vielen mündlichen Vertäge gedacht wird, die zur Vorbereitung von Festivals, Publikationen, Gastspielen notwendig waren in Zeiten, in denen sie nicht hätten gemacht werden dürfen, nämlich vor dem Eintreffen des Bewilligungsbescheides. Es gab in diesen Jahren niemanden, der sich mit den Fragen des Kulturmanagements professionell beschäftigte, es war als Lehrfach an den Universitäten noch nicht vorhanden.